Integration ist mehr als ein Konzept!

Interview mit Cumali Naz, in Zeitschrift „“ethnologik“, Herbst 2007, S.41-46  

Am 18.06.2007 besuchten Redakteure von NIM die Veranstaltung „Integration geht alle an!“ im Alten Rathaus der Landeshauptstadt München. Vertreter von Bund, Freistaat, Stadt und Zivilgesellschaft führten eine lebhafte Podiumsdiskussion und die Stadt München stellte ihr neues Integrationskonzept vor. Herr Cumali Naz, der als Vorsitzender des Ausländerbeirates die Position der Migranten in München vertrat, sprach dort im Besonderen auch die Gefühlsebene an, die er in München vernachlässigt sieht. Einige Wochen später trafen wir uns mit ihm zu einem ausführlichen Interview.

Können Sie sich bitte kurz vorstellen?

Ich heiße Cumali Naz und lebe seit 25 Jahren in München. Ich habe an der LMU Politologie und Soziologie studiert und arbeite seit 1991 beim Kreisjugendring München Stadt und bin dort zuständig für die interkulturelle Jugendarbeit. Seit 1998 bin ich ehrenamtlich bei der direkt gewählten politischen Interessenvertretung der Migranten in München, dem Ausländerbeirat tätig.

Auf der Veranstaltung „Integration geht alle an!“ sprachen Vertreter von Bund, Ländern  und Gemeinden zum Thema Integration hauptsächlich aus wirtschaftlicher und politischer Sicht, wohingegen Sie als einziger deutlich auf die Gefühlsebene hinwiesen. Sie meinten, dass sich Integration auch „im Bauch“ abspiele. Können Sie dies bitte etwas ausführen?

Mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes von 2005 hat Deutschland als Einwanderungsland den richtigen Weg eingeschlagen. Von nun an soll auch staatlicherseits Integration aktiv gefördert werden, wie z.B. mit Integrationskursen etc. Bereits davor wurde das Staatsbürgerschaftsrecht mit der richtigen Zielrichtung reformiert. Dies haben wir auch sehr  begrüßt. Doch nur zweieinhalb Jahre später hat man das Zuwanderungsgesetz erneut verändert und EU-Richtlinien eingebaut. Indem in das Gesetz Verschärfungen für Migranten aufgenommen wurden, landete man genau beim Gegenteil von dem, was vorher erzielt werden sollte. Als ich am Tag der Veranstaltung „Integration geht alle an!“ auf dem Podium saß, hatte ich nur die Stimmung, insbesondere der größten Migrantengruppe in München, den Türken, zu vermitteln. Ich bin selbst aus der Türkei und weiß, dass gerade die Türken, aber auch andere Migrantengruppen, von den Verschärfungen im Bereich des Ehegattennachzuges, der Familienzusammenführung und der Einbürgerungshürden für junge Menschen unter 23 betroffen sind. Ich stelle immer wieder fest, dass die Menschen aus der Türkei und auch aus anderen, besonders islamischen Ländern, trotz vieler positiver Entwicklungen ein Gefühl präsentiert bekommen, das ihnen zeigt, dass sie hier eigentlich unerwünscht sind.

Inwiefern?

Indem zum Beispiel die Heiratsmigration erschwert wird. Den Äußerungen von Wolfgang Schäuble ist indirekt zu entnehmen, dass die Heiratsmigration als das Hauptproblem angesehen wird. Wenn es geht, soll diese auf null reduziert werden. Da fragen sich die Menschen doch, was da lost ist. Erst werden Integrationskurse angeboten und jetzt soll man bereits vor der Einreise Deutschkenntnisse vorweisen. Selbst das Goetheinstitut sagt, dass diese Forderungen unrealistisch sind. Beispielsweise bestehen in weiten Gegenden der Türkei überhaupt keine Möglichkeiten, sich diese Kenntnisse vorweg anzueignen. Es werden also weitere Hürden aufgebaut. Die Menschen sind nicht blöd und wissen sehr wohl, dass diese Möglichkeit der Migration abgeschafft werden soll. Diese Botschaft ist angekommen. Doch handelt es sich hierbei um das grundgesetzlich geschützte Recht, eine Familie gründen zu können. Ständig rufen bei mir heiratswillige Menschen an und beschweren sich deshalb. Bei dem hier vermittelten Gefühl zeigen sich die Widersprüche. Auf der einen Seite steht der, von Frau Merkel vorgestellte, bundesweite Integrationsplan, auf der anderen Seite wird vermittelt, dass bestimmte Ausländer hier einfach nicht willkommen sind. Ich weise hierbei auch auf die Abschaffung der Möglichkeit von doppelten Staatsbürgerschaften hin. Vor dem Jahr 2000 machten bspw. viele Türken davon Gebrauch und haben neben der deutschen auch wieder ihre ursprünglich türkische Staatsbürgerschaft angenommen. Doch diese Möglichkeit wurde abgeschafft und rund 50.000 Türken verloren ihren deutschen Pass wieder. Bereits hier wurden die Regeln verschärft und eine Tür geschlossen. Jetzt kommt noch die Barriere beim Ehegattennachzug und bei der Einbürgerung für junge Menschen unter 23 hinzu. Diese jungen Menschen müssen jetzt in der Regel nachweisen, dass sie für ihren Unterhalt sorgen. Problematisch ist dies beispielsweise bei jungen Arbeitslosen.

Oft werden diese Themen, besonders in Bayern, in populistischer Manier hochgespielt und instrumentalisiert, um Wählerschichten zu mobilisieren. Ich bin seit 25 Jahren hier und jedes Jahr vollzieht sich das gleiche Spiel. Die Minderheitenproblematik betrifft viele Bereiche und mit Slogans wie „das Boot ist voll“ oder „gefährlich fremd“ schürte man bereits in den 1990er Jahren ausländerfeindliche Ressentiments. Die Anschläge in Solingen und Mölln haben gezeigt, wohin dies führen kann. Dies meine ich mit der Gefühlslage bei den Migranten.

Glauben sie, dass der Staat überhaupt die Möglichkeit hat, die Gefühle der Menschen zu verändern?

Zum Beispiel ist die Einbürgerungsurkunde ein wichtiges Symbol. Ich habe diese von einer Sachbearbeiterin bekommen. Klar, ich bekenne mich zu diesem Land. Vielleicht wäre es aber eine gute Idee, wenn der Oberbürgermeister oder der Präsident der Regierung von Oberbayern die Menschen zu einem feierlichen Akt einlädt, bei dem diese Urkunden verliehen werden. Damit vermittelt man ein gutes Gefühl und sagt: „Ihr seid willkommen!“

Wie hat sich vor dem Hintergrund einer solch ambivalenten Einwanderungspolitik der Integrationswille nichtdeutscher Bürger verändert. Haben die neuen Integrationsprojekte gefruchtet oder bilden sich vielleicht in zunehmenden Maße Ghettos? Kapseln sich nichtdeutsche Bürger mittlerweile eher ab?

Es ist in der Tat so, dass für eine erfolgreiche Integration der Wille dazu auf beiden Seiten vorausgesetzt werden muss. Integration ist ein schwieriger und langwieriger Prozess und viele Faktoren können diesen sowohl positiv als auch negativ beeinflussen. Zuerst müssen die Schwierigkeiten der Integration anerkannt und dementsprechend die Rahmenbedingungen erleichtert werden. Hier verlief jedoch die Entwicklung in den letzten Jahren nicht geradlinig, nicht zuletzt deswegen, weil die Ausländer keine homogene Gruppe darstellen. In München leben ca. 300.000 Menschen mit ausländischem Pass, dazu kommen noch einmal 100.000 eingebürgerte Personen und Spätaussiedler. Eine insgesamt sehr große Zahl. Schaut man sich nun aber die Biografien dieser Menschen an, so ergeben sich große Unterschiede. Teilweise sind die Menschen erst sehr spät nach Deutschland gekommen, teilweise kommen Migranten aus bildungsfernen und armen Schichten — ja sogar Analphabeten findet man noch unter ihnen. So herrscht z.B. bei Gruppen, die aus EU-Ländern stammen, eine ganz andere Ausgangslage. Man kann also die Frage nach dem Integrationswillen nicht verallgemeinern. Eine Erfolgsgeschichte, die ich aus meiner eigenen Erfahrung bestätigen kann, stellen die Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien dar, die teils aus sehr bildungsnahen Schichten stammten und deren Integration in Deutschland sehr gut gelang. Wenn verschiedene Faktoren sich positiv ergänzen, funktioniert die Integration sehr gut. Doch gibt es auch negative Beispiele. So stellt der Fall „Mehmet“ das beste Beispiel einer gescheiterten Integration dar. Ich kenne die Familie von Mehmet, wohne wie diese selbst in Neuperlach und kann ihnen viele Faktoren nennen, die eine erfolgreiche Integration in diesem Fall verhindert haben. Wir müssen wegkommen von den Pauschalisierungen und Stigmatisierungen, die dazu führen, dass in der Politik teilweise ganze Stadtteile als „verloren“ angesehen werden.

Gestern war ich zum Beispiel im Sportamt und hatte dort bei der Konfliktlösung zu helfen. Es ging um einen Stadtteil im Münchner Norden, in den keiner mehr hinein möchte, selbst ausländische Sportvereine nicht! Ich habe mir die Argumente angehört, aber so kann man die Menschen nicht integrieren. Wenn man verallgemeinert sagt, dass dort nur arme Menschen und viele Ausländer leben, dass dort ein kriminelles Milieu vorherrscht, dann haben es die jungen Menschen dort sehr schwer. Ich sage daher, man muss vorsichtig sein mit Verallgemeinerungen. Um auf ihre Frage zurückzukommen, es gibt viele sehr integrationswillige Menschen. Jeder Immigrant will hier sein Glück versuchen um seinen Kindern eine bessere Zukunft zu bieten, dass war ja auch das Motiv für ihn, sein Ursprungsland zu verlassen. Ich weiß auch, wie sich viele verzweifelt Ratschläge einholen, um ihren Kindern zum Beispiel bei der Arbeitsstellensuche zu helfen. Ein interessantes Beispiel sind auch die zahlreichen migrierten Akademiker, die hier keine Arbeit finden. Nach 2-3 Jahren erfolgsloser Suche, schwindet unter Umständen auch der Integrationswille. Das Problem ist, dass zwar die Konzepte und Sonntagsreden gut sind, aber diese Leute mit ihren Fähigkeiten und Ressourcen nicht anerkannt und gefördert werden. Bietet man den Menschen eine gute Perspektive, werden sie sich auch nicht mehr abkapseln. Der Begriff Ghetto ist für  München keine angemessene Bezeichnung, aber es gibt auch in München Prozesse der Abkapselung, die zu ghettoähnlichen Verhaltensmustern führen. Menschen, die isoliert sind, suchen den Rückhalt in eigenen, innerethnischen Netzwerken, wo sie Solidarität, Unterstützung und Zuneigung finden. Integration ist ein komplexer Prozess und beinhaltet verschiedene Aspekte. Die größten Probleme sehe ich hier im sozialen Bereich. Schauen wir uns die Lage in den Kindertagesstätten an. Prof. Christian Pfeiffer, einer der bekanntesten Kriminologen, war letztes Jahr in München und wies darauf hin, dass er empirisch festgestellt hat, dass Migrantenkinder in Kindertagesstätten sehr selten von den deutschen Kindern zu ihren Geburtstagsfeiern eingeladen werden. Es ist eine gefährliche Entwicklung, wenn es zwischen migrierten und nicht-migrierten Kindern in der Freizeit keine ausreichenden sozialen Kontakte gibt, denn dies führt dazu, dass die Menschen sich in ihre eigene Gruppe zurückziehen. Auch Prof. Pfeiffer plädiert dafür, diese sozialen Kontakte stark auszuweiten, sowohl im vorschulischen Bereich als auch im Vereinsleben. Bestes Beispiel ist der Sport. Die zahlreichen migrantischen Fußballvereine in München sind eigtl. auch nicht das Hauptziel der Integrationspolitik.

In der Diskussion wird zurzeit immer wieder auf die „Chancen“ der Migration hingewiesen. Besteht dabei nicht die Gefahr, dass Migranten daraufhin reduziert werden, inwieweit sie sich für die deutsche Wirtschaft rechnen? Sehen Sie da auch Gefahren?

Natürlich, gerade in Hinblick auf die erste Generation. Nach dem 2. Weltkrieg brauchte Deutschland einfache Arbeitskräfte und man untersuchte Menschen in den Heimatländern auf ihre körperliche Gesundheit hin. Diese Menschen haben dieses Land mit aufgebaut, doch irgendwann sagte man, dass man diese unqualifizierten Arbeitskräfte nicht mehr braucht. Doch die Menschen sind nicht nur samt ihrer Integrationsdefizite, sondern auch mit ihren Kindern hier geblieben. Integrationsprogramme, wie im heutigen Sinne, gab es damals noch nicht. Irgendwann kamen dann die Flüchtlinge dazu. Allein die geduldeten Fälle zählt man heute auf ca. 200.000. Auch sie suchen hier Zuflucht und Schutz und ob sie nun gering oder hoch qualifiziert sind, sie mussten fliehen. Wenn ich die Geschichte der Migrationspolitik in Deutschland betrachte, stelle ich fest, dass das neue Zuwanderungsgesetz nur dafür gemacht wurde, die hoch qualifizierten Arbeitskräfte oder das Kapital hierher zu locken. Hochqualifizierte Migranten haben hier alle Freiheiten und werden samt Familie ohne Probleme mit Niederlassungserlaubnissen bestückt. Nur Migranten die viel Kapital besitzen, soll der Zuzug leicht gemacht werden. Die anderen, eher gering qualifizierten, sollen das Land am besten wieder verlassen. Den hier wohnenden Migranten wird dies zwar nicht so direkt gesagt, aber bei den Neuregelungen im Zuwanderungsrecht wird diese Logik deutlich. Von nun an dürfen nur jene Flüchtlinge hier bleiben, die nach einer gewissen Frist (bei Familien 6 Jahre, bei Einzelpersonen 8 Jahre) ausreichende Deutschkenntnisse nachweisen und über ein eigenes Einkommen verfügen. Damit habe ich aber ein großes Problem. Denn man muss auch die Lebensleistung der ersten und zweiten Generation, die hier jahrelang gearbeitet hat, würdigen und ihnen helfen. Infineon ist das beste Beispiel. Viele Migranten haben 20 bis 30 Jahre hier gearbeitet und wurden dann mit 50 Jahren auf die Straße geworfen. Was für ein Leben erwartet diese Menschen? Natürlich müssen diese staatliche Leistungen in Anspruch nehmen. Diesen Menschen, denen überall gesagt wird, dass sie hier eigentlich  keine Chance mehr haben, muss geholfen werden. Ihnen muss vermittelt werden, dass sie und ihre schwierige Situation verstanden werden.

Soziale Ungleichheit betrifft ausländische wie auch deutsche Bürger. Würden sie daher auch sagen, dass arme ausländische Bürger somit doppelt benachteiligt sind, einerseits wegen ihrer Herkunft, andererseits wegen ihrer ökonomischen Situation?

Natürlich. Auch wenn es rechtliche Unterschiede zum Beispiel zwischen EU- und Nicht-EU-Bürgern gibt, so haben ausländische Personen darüber hinaus, egal ob eingebürgert oder nicht, aufgrund ihres Ausländerstatus vielerlei Probleme. Sei es im schulischen Bereich, auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche. Als zentraler Lebensbereich hat der Wohnungsmarkt hier eine besondere Bedeutung, denn damit hängen auch andere Probleme, wie z.B. das der Ghettoisierung zusammen. Vor vier Jahren haben wir mit dem Münchner Mieterbeirat Wohnungsanzeigen untersucht, um die Ausgrenzung von Migranten auf dem Wohnungsmarkt zu untersuchen. Dabei saßen die deutsche Vorsitzende des Mieterbeirates am einen Telefon und ein Mitglied des Ausländerbeirates, mit ausländischem Namen und Akzent,  am anderen. Die ausländische Person würde öfter gewechselt. Mal war es eine Brasilianerin, mal ein Türke, mal ein Grieche etc. 4 Wochen lang haben diese Personen bei Maklern und Vermietern angerufen. Als die ausländische Person angerufen hat, hieß es nach 1-2 Minuten meistens, die Wohnung sei schon vergeben. Zwar wurde nicht direkt gesagt, dass diese Wohnung kein Ausländer bekommt, aber der Grund der Absage war offensichtlich der ausländische Name und Akzent. Kurze Zeit später nämlich rief die deutsche Vorsitzende des Mieterbeirates an und ihr wurde in vielen Fällen die gleiche Wohnung zur Besichtigung angeboten. So läuft das. Wenn in der Diskussion nun gesagt wird, dass Ausländer sich abschotten, sollte man genau hinschauen. Was führt eigtl. die Menschen zu solchen Wohnsituationen. Ich habe vorhin das diesen Stadtteil im Münchner Norden erwähnt und frage, wer kann sich denn eine Wohnung in Bogenhausen oder Neuhausen leisten? Ein Vergleich in den Zeitungen müsste ausreichen. Wenn man von Armut, Arbeitslosigkeit und insb. Bildungsarmut betroffen ist, muss man sich auch eine angemessene Wohnung suchen, die dann eben in bestimmten Stadtvierteln liegt. Als Schlagwort sei hier die „soziale Segregation“ genannt. Unabhängig davon, ob man Ausländer ist oder nicht, trifft man in solchen Vierteln meist Menschen, die sich in der gleichen Situation befinden. Irgendwann kann diese Situation aber auch den sozialen Frieden in der Stadt gefährden.

Die Vermietung einer Wohnung ist ja in den meisten Fällen eine private Angelegenheit. Glauben Sie, dass der Bund oder die Stadt hier in irgendeiner Weise intervenieren sollte?

Es gibt ja nun das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das von uns jahrelang im Hinblick auf den Wohnungsmarkt, das Privatrecht und den Arbeits- und Ausbildungsmarkt gefordert wurde. Trotzdem werden ausländische Bewerber mit gleichen Schulnoten in vielen Fällen immer noch benachteiligt. Ob verdeckt oder nicht, oft gibt es immer noch Ausgrenzungsmechanismen und wir dachten, dieses Gesetz würde die Probleme minimieren. Anwälte und Fachkräfte haben uns aber die Einzelheiten des AGG vorgestellt und wir mussten feststellen, dass dieses Gesetz bei den „kleinen“ Geschäften, wie z.B. von privaten Vermietern, nicht greift. Es ist nur bei solchen Wohnungsbaugesellschaften wirksam, die mehr als 50 Wohneinheiten besitzen. Zumindest dürfen heute in Zeitungen keine Abkürzungen wie „k.A.“ (kein Ausländer) mehr benutzt werden. Aber wenn man jemanden nicht möchte, finden sich natürlich trotzdem Wege, dies durchzusetzen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass selbst gut ausgebildete Diplomaten in München noch immer große Probleme haben, eine geeignete Wohnung zu finden. Die ausländische Herkunft wird nun mal durch Hautfarbe, Herkunft oder den Nachnahmen sichtbar und bei der Suche nach einer Ausbildungsstelle oder einem Arbeitsplatz hat man es dadurch schwerer. Wir haben leider immer wieder und überall mit solchen Ausgrenzungsmechanismen zu tun.

So verdient München beispielsweise diesen „Moscheestreit“ nicht. Ich lebe sehr gerne in dieser Stadt. München ist eine der weltoffensten und liberalsten Städte, aber was in Sendling zurzeit los ist, kann ich nicht verstehen. Letzte Woche musste eine wichtige und tolle Veranstaltung zum Thema Scharia und Grundgesetz, nachdem Moscheegegner diese sabotiert hatten, abgebrochen werden. Einige Gegner wollen die Moschee dort einfach nicht haben. Doch die Argumente, die sie vorbringen, sind absurd. So brachten einige Moscheegegner auf einer von OB Christian Ude geleiteten Bürgerversammlung das Argument vor, die Moschee würde dazu führen, dass die Schüler einer benachbarten Schule ideologisch negativ beeinflusst und für den Islam mobilisiert werden sollen. Wenn man jetzt mit den ausländischen Menschen spricht, die in diesem Stadtviertel teilweise seit 30 Jahren leben und sie fragt, wie es ihnen geht, dann antworten sie natürlich: „Schlecht!“ Jeder Mensch hat hier das grundgesetzlich geschützte Recht der freien Religionsausübung. Natürlich muss man sich bspw. bezüglich der Größe oder der Anzahl der Parkplätze einigen. Aber prinzipiell sollte den hier seit langem lebenden Migranten mit islamischem Hintergrund signalisiert werden, dass sie das Recht haben, sich ein eigenes Gotteshaus zu bauen. Wenn man weiß, das die Träger der muslimischen Gemeinschaft verlässliche Partner sind und mit Terrorismus, Fanatismus und Fundamentalismus nichts zu tun haben, muss man sich öffnen und signalisieren, dass die Migranten willkommen sind und genauso zum Stadtteil gehören. Doch das genaue Gegenteil geschieht und es werden Unterschriften gegen den Moscheebau gesammelt. Zum Glück ist der Stadtrat auf Seiten der Religionsfreiheit, doch für eine gelingende Integration ist es nun mal nötig, dass man sich mit seinen Nachbarn versteht. Wenn ich als Migrant hier lebe, möchte ich auch, dass meine Nachbarn mich als gleichwertig wahrnehmen und behandeln. Wenn ich dieses Gefühl nicht bekomme, werde ich mich nie wohlfühlen. Doch genau da beginnt Integration: Beim sich Wohlfühlen, beim sich Zuhausefühlen. Und das vermissen Ausländer hier oft.

Glauben Sie, dass in diesem Konflikt auch ausländische Bürger, die eigentlich gar nicht gläubig sind, in gewisser Weise dazu gedrängt werden, sich zum muslimischen Glauben zu bekennen und daher Partei für den Moscheebau zu ergreifen?

Von einem Zwang würde ich nicht sprechen, aber es gibt statistische Quellen die bestätigen, dass nur ein kleiner Teil der Muslime in Deutschland regelmäßig eine Moschee besucht. Für mich war das auch nicht sehr wichtig, aber ich habe Verständnis für diejenigen, die in der Nähe ein Gotteshaus haben möchten, um dort regelmäßig beten zu können. Unabhängig davon, wie man nun persönlich zum Islam steht, kann man sich für dieses Recht auf eine Moschee einsetzen. Heute solidarisieren sich auch linke und atheistische Migranten mit dem Moscheebau. Andererseits werden teilweise aber auch linke Migranten, die eigtl. gar nichts damit zu tun haben, von außen als Sympathisanten des Moscheebaus gesehen. Das ist für viele Menschen natürlich ein Problem.

Mit großer Spannung warten alle auf das Ergebnis des Planfeststellungsverfahrens. Doch allein die Diskussionen, bei denen alle militanten Moscheegegner geschlossen auftreten, können das Klima vergiften. Genauso hat man beim Besuch der Bürgerversammlungen das Gefühl, dass man uns in diesem Land nicht haben will und dass wir hier keine Zukunft haben. Ich höre zurzeit von vielen Migranten den Satz: „Zum Glück geht es Deutschland gerade wirtschaftlich relativ gut“. Ich kann diese Befürchtung gut nachvollziehen, denn wie sähe es aus, wenn es Deutschland wirtschaftlich so katastrophal ginge, wie bspw. in den 1930er Jahren. Diese Befürchtungen sollte man verstehen, denn die Türken haben mit Solingen und Mölln ja auch bittere Erfahrungen sammeln müssen, als Kinder und Frauen bei den Anschlägen verbrannt wurden. Diese Erfahrungen werden nie aus dem Gedächtnis verschwinden.

Ich finde zum Beispiel das von Frau Merkel organisierte Gipfeltreffen toll und sage, dass die Länder und Kommunen davon ausgehen müssen, dass Deutschland ausländische Menschen genauso braucht, wie die ausländischen Menschen Deutschland brauchen. Die klugen Köpfe wissen, wie wichtig die Migranten für Deutschland sind. Die Bevölkerungswissenschaftler wissen, dass der Altersdurchschnitt bei der migrantischen Bevölkerung viel niedriger liegt, als bei der einheimischen. Viele wissen auch, dass die Migration das Altern der deutschen Bevölkerung abfedern kann und jeder in die Integration investierte Euro längerfristig 1000 Euro wert ist. Genauso sage ich, dass ausländische Kinder möglichst früh besser integriert und unterstützt werden müssen, gerade in Hinblick auf  Spracherwerb, schulische und berufliche Ausbildung. Einige haben dies verstanden und wollen in diesen Bereichen wirklich etwas verändern. Es kommen zum Teil ja auch die richtigen Signale, wie zum Beispiel auf dem letzten Integrationsgipfel, in Hinblick auf die Mehrsprachigkeit. Sogar dort wurde festgestellt, dass Mehrsprachigkeit eine wichtige Ressource in der globalisierten Gesellschaft ist. So etwas hat man zuvor kaum gehört. Aber trotzdem sagt man in Bayern, dass Fremdsprachen zwar wichtig sind, aber die Finanzierung des muttersprachlichen Unterrichts bis 2009 auf null reduziert werden soll. Diesen Unterricht müssten in Bayern in Zukunft die Konsulate selbst organisieren. Hier haben wir es mit Widersprüchlichkeiten zu tun, die meiner Meinung nach zuerst beseitigt werden müssen. Wir brauchen ein schlüssiges Gesamtkonzept für Bund, Länder und Kommunen. Was die Integrationsanstrengungen angeht, liegt dabei die Landeshauptstadt München meilenweit vor dem Freistaat Bayern. So gibt es in Bayern immer noch keinen Minister, der sich für Migration zuständig fühlt, obwohl ca. 10 % der bayrischen Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat. So sieht die widersprüchliche Realität aus.

Wir haben vorher die Gefühlslage angesprochen. Inwieweit glauben sie, tragen die Medien hier eine Verantwortung? Ist es nicht so, dass gerade durch mediale Darstellung Gefühle erzeugt werden? Sollten Medien nicht auch in die Integrationspolitik mit einbezogen werden?

Als die Medienvertreter auf dem Integrationsgipfel eine Selbstverpflichtung abgegeben haben, hat mich das sehr gefreut. Bis zum Juli 2008 befinden wir uns in der Umsetzungsphase und im nächsten Gipfeltreffen werden die Ergebnisse überprüft. In vielen Medien werden Ausländer leider nur in negativen Zusammenhängen zum Thema gemacht. Ich habe mich mit den wichtigen Vertretern der Lokalredaktionen Münchner Zeitungen getroffen, wie z.B. dem Chefredakteur der Lokalredaktion der Süddeutschen Zeitung (SZ). Aus dem Lokalteil seiner Zeitung habe ich ihm Schlagzeilen gezeigt, wie: „Türke erstach deutsche Freundin“ oder „Türken haben den deutschen Freund ihrer Tochter verschleppt“. Solche Schlagzeilen schaden meiner Meinung nach dem gesamten Integrationsprozess, denn die Menschen haben noch immer Vorurteile und bestehende Stereotypisierungen werden mit solchen Berichten nur bestätigt. Medien können, je nach Berichterstattung, bestehende Vorurteile bestätigen oder widerlegen. Einige Medien sind sich ihrer Rolle hier scheinbar nicht bewusst, andere jedoch sehr genau und steigern mit negativer Berichterstattung über Ausländer ihre Verkaufszahlen. Wie in anderen Fällen auch, sind es die negativen und nicht die positiven Nachrichten, die Schlagzeilen machen. Ich bin mir nicht sicher, ob man da viel verändern kann, doch denke ich, die beste Methode wäre, wenn man den Anteil der Angestellten mit Migrationshintergrund im Medienbereich erhöht. Im Fernsehen sind sowohl vor als auch  hinter der Kamera, sehr wenige Migranten beschäftigt. Außerdem übernehmen viele Redaktionen nahezu wörtlich die Polizeiberichte. Aus polizeilicher Perspektive sind Beschreibungen wie „südländische Erscheinung“, „32-Jähriger mit türkischem Aussehen“ oder „mit italienischem Akzent“ verständlich, doch frage ich mich, ob diese so in den Zeitungen stehen müssen. Ich habe mich mit Vertretern der Polizei unterhalten, die mir sagten, dass sie solche Formulierungen brauchen, da sie auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen sind — auch wenn sie wissen, dass sich negative Vorurteile damit verfestigen.

Einige Soziologen weisen auf die vielen verschiedenen Formen von Identität hin, die für einen Menschen heute wichtig sein können. Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zu der Forderung, dass Migranten sich auf eine Staatsbürgerschaft festlegen sollen?

Ich sage ganz klar, doppelte oder auch mehrere Staatsbürgerschaften haben bisher noch keinem Land geschadet. Deutschland leidet immer noch unter einem antiquierten Staatsangehörigkeitsrecht. Sie wissen, dass bis zum Jahr 2000 hauptsächlich Blutrecht als Grundlage hiesiger Rechtsprechung angesehen wurde. Ich schließe mich der Meinung vieler Soziologen und Sozialpsychologen, wie Heiner Keupp an, die von „Patchwork-Identitäten“ ausgehen und kann dies aufgrund meiner eigenen Erfahrung bestätigen. Wenn man mich fragt, was ich bin, dann sage ich: „Beides!“ Ich fühle mich mit der Türkei und der türkischen Kultur genauso stark verbunden wie mit Deutschland. Aber ich war auch gezwungen, als ich 2001 meine deutsche Staatsangehörigkeit bekommen habe, meinen türkischen Pass abzugeben. Aber mir fehlt jetzt etwas. Die Staatsangehörigkeit ist ein Dokument über meine Identität. Ein deutscher Pass ist nur die Bestätigung der einen Hälfte meiner Identität. Ich wünsche mir auch eine Dokumentation meiner zweiten Hälfte und verstehe die Ängste vor der doppelten Staatsangehörigkeit nicht.