Impulsreferat am 14.Oktober 2007, Fachtag der Begegnung, im Selbsthilfezentrum München
Das Zusammenleben in jeder Gesellschaft wäre nicht lebenswert, wenn sich nicht jeden Tag Menschen für ihre Mitmenschen einsetzen würden. Dabei ist die Unterstützung so unterschiedlich wie die Herkunft der Personen, durch die sie geleistet wird.Auch hier gilt der Erfahrungswert, dass die gesamte Bedeutung und Schlagkraft des bürgerschaftlichen Einsatzes größer ist als die Summe ihrer Teile.
Das bürgerschaftliche Engagement hat für Deutschland eine herausragende Bedeutung. Mehr als 23 Millionen Menschen über 14 Jahre engagieren sich freiwillig, bürgerschaftlich und ehrenamtlich sowie unentgeltlich in Vereinen, Verbänden, Kirchen, Initiativen und Selbsthilfegruppen. Die Spanne der ausgeübten Tätigkeiten ist sehr breit.Diese aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am öffentlichen Leben ist ein wesentliches Merkmal einer lebendigen Demokratie. Es sind engagierte Personen und Gruppen, die mit ihrem freiwilligen Engagement Tag für Tag die Bindekraft unserer Gesellschaft prägen. Wir können uns freuen, dass die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement weiter wächst. Es wurde in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen festgestellt, dass sowohl das Engagements von Menschen als auch das Engagementpotenzial stetig zunimmt. Gerade innerhalb der Gruppen der älteren Menschen, der Menschen, die arbeitslos oder krank sind, und der Migrantinnen und Migranten ist ein Anstieg der Engagementbereitschaft zu erkennen. Immer mehr Menschen sind bereit, sich für andere zu engagieren. Der Grund hierfür liegt in erster Linie in dem Wunsch begründet, die Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Eine aktives Engagement ist der Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben und die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Bürgerschaftliches Engagement wird zunehmend als Chance erkannt, etwas für oder über sich zu lernen, sich weiterzubilden und eigene Kompetenzen weiter zu entwickeln.Bürgerschaftliches Engagement ist integraler Bestandteil einer lebendigen Zivilgesellschaft. Integraler Bestandteil, weil die Menschen, die mehr und mehr nach Wegen zur gesellschaftlichen Teilhabe suchen, das Engagement als konkrete Möglichkeit erkennen, sich zu beteiligen.Die Qualität einer Gesellschaft bemisst sich unter anderem daran, in welchem Ausmaß die Bürgerinnen und Bürger sich an öffentlichen Aktivitäten beteiligen und inwiefern sie zu bürgerschaftlichem Engagement bereit sind.Wir wissen, dass der Kern einer modernen Bürgergesellschaft die Zivilgesellschaft ist. Und je höher das bürgerschaftliche Engagement ist, desto gefestigter ist die Zivilgesellschaft.Eigeninitiative, Selbsthilfe und Engagement sind die Fundamente einer lebendigen Zivilgesellschaft. Das bürgerschaftliche Engagement kann ganz unterschiedliche Formen annehmen und eine multiethnische und multireligiöse Großstadt wie München kann nur von engagierten Bürgerinnen und Bürgern getragen werden.Die Bedeutung und Rolle dieses Engagements wird in der Berliner Charta zum bürgerschaftlichen Engagement folgendermaßen beschrieben:
Bürgerschaftliches Engagement ist ein unverzichtbarer Bestandteil zum Wohle einer lebendigen, vielfältigen und solidarischen Gesellschaft. Es umfasst das Ehrenamt, die Freiwilligenarbeit und die Selbsthilfe sowie das Engagement von Organisationen, Initiativen, Verbänden, Unternehmen und Stiftungen… Bürgerschaftliches Engagement ist eine Aufgabe aller in dieser Stadt lebenden Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer sozialen Stellung, aller demokratisch verfassten bzw. selbstorganisierten Initiativen, Verbände, Vereine, Kirchen, Gewerkschaften und Unternehmen sowie der politischen Parteien.. Bürgerschaftliches Engagement fördert Partizipation, Integration und Eigenverantwortung aller Menschen und ihren Einsatz für ein aktives Gemeinwesen. Bürgerschaftlich Engagierte beanspruchen, sich mit ihren Kompetenzen und Erfahrungen in politische Entscheidungsprozesse einbringen und mitentscheiden zu können. Bürgerschaftliches Engagement nützt allen beteiligten Akteuren und bringt dabei Freude, Anregung und Bestätigung. Es unterstützt das lebenslange und das soziale Lernen in der Gesellschaft…Mit dieser Charta wird unterstrichen, dass Bürgerschaftliches Engagement einen hohen Stellenwert in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung einnimmt. Seine Bedeutung sowie die Anerkennung der Bürgerschaftlich Engagierten soll sich auch in den Medien widerspiegeln. Bürgerschaftliches Engagement muss für alle Interessierten leicht erschließbar angeboten werden und darf nicht als Lückenfüller für reduzierte sozialstaatliche Leistungen missbraucht werden. (Diese Charta entstand im Rahmen der Runden Tische zur Förderung des freiwilligen Engagements in Berlin 2003 und 2004 im Zuge eines 14-monatigen Diskussionsprozesses)
Selbsthilfe ist eine Form des bürgerschaftlichen, ehrenamtlichen Engagements.Das Wesen der Selbsthilfe ist die wechselseitige Hilfe auf der Basis gleicher Betroffenheit. Selbsthilfe bedeutet, die eigenen Probleme und deren Lösung selbst in die Hand zu nehmen und im Rahmen der eigenen Möglichkeiten aktiv zu werden. In Selbsthilfegruppen finden sich Menschen, die ein gemeinsames Thema verbindet, die unter den gleichen Problemfällen leiden. Auch Angehörige von Betroffenen organisieren sich in Selbsthilfegruppen. Selbsthilfegruppen und -organisationen sind auch Foren, in denen sich Menschen mit gleichen oder ähnlichen Problemfällen das Wissen und die Kompetenz aneignen, die sie brauchen, um ihre Probleme besser bewältigen zu können, aber auch, um sich besser behaupten zu können. In Selbsthilfeinitiativen können Menschen auch ihre eigenen Lobbystrukturen organisieren.
Selbsthilfegruppen spielen im Integrationsprozess eine ganz wichtige Rolle.
Die Bedeutung von Selbsthilfegruppen für die Integration von Zuwanderern ist im Rahmen der Sozialen Arbeit in Deutschland bisher leider nur zögerlich thematisiert worden. So liegen nur wenige Publikationen vor, die eine Bestandsaufnahme bestehender Strukturen vornehmen bzw. sich mit den unterschiedlichen Formen von Selbsthilfe befassen Genauso liegen im deutschen Sprachraum nur relativ wenige Publikationen zu Struktur und Funktion von ethnischen Selbstorganisationen bzw. Netzwerken vor, aus denen sich ebenfalls wichtige Erkenntnisse für Selbsthilfestrukturen ableiten lassen. Daneben wurde die Frage, inwieweit Migrantenselbstorganisationen bzw. ethnische Gemeinschaften integrationsfördernd oder integrationshemmend seien, in der Vergangenheit eher polarisierend geführt Erst in letzter Zeit hat eine differenziertere Diskussion begonnen, die versucht, bestimmte Formen der Selbsthilfe in der klassischen Verbandsarbeit von ethnischen Gemeinschaften zu identifizieren und zu analysieren.
München hat in dieser begonnenen Diskussion eine Vorreiterrolle. Ausländerbeirat, Selbsthilfebeirat und zentrum haben in den letzen Jahren sehr eng zusammengearbeitet. In gemeinsam organisierten Fachtagungen wurden verschiedene Aspekte der Selbsthilfe und Migrationsarbeit ausführlich diskutiert.
Ergebnisse dieser Fachtagungen sind im kurzen Überblick folgende gewesen:
- Die Geschichte der Migration in München ist voll mit Beispielen von Selbstorganisation und Selbsthilfe, manche Vereine feiern bereits 30 bzw. 40 Jahre.
- Reguläre Selbsthilfe (Sucht, Krankheiten usw) und Selbstorganisation bzw. Selbsthilfe der Migranten haben viele Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten.Der heutige Tag der Begegnung sollte dazu einen Beitrag leisten, diese deutlich zu machen.
- Es gibt nennenswerte Erfolge in den letzten 10 Jahren. Das sind z.B. Weiterentwicklung der Richtlinien zur Förderung der Selbsthilfe (Einbeziehen der Selbstorganisation der Migranten im Sinne der Selbsthilfe bzw. im Sinne des bürgerschaftlichen Engagements), Fachgesprächsreihen, Gründung und Förderung neuer initiativen und Projekte)
- Weitere Schwerpunkte für die Zukunft sind: Interkulturelle Öffnung der regulären Selbsthilfegruppen, z.B. Diabetesgruppe, aber auch Öffnung der Migrantengruppen.
- Gemeinsame Fortbildungen, weitere Beratung und Information für die Migrantengruppen, Vernetzung der Aktivitäten vom Ausländerbeirat, Selbsthilfebeirat- und zentrum.