Der bayerische SPD-Spitzenkandidat und Münchner Oberbürgermeister Christian Ude sprach sich in einem Interview dafür aus, den Schülern die Wahl zwischen dem acht- und dem neunjährigen Gymnasium zu lassen. Er hält die gegenwärtige Festlegung auf das achtjährige Gymnasium für grundfalsch. Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle wies Udes Forderung als „landespolitischen Dilettantismus“ zurück und kritisierte den SPD-Politiker für mangelndes Faktenwissen.
Diese Kontroverse ist nur ein kleiner Teilaspekt der unterschiedlichen Bildungskonzepte der politischen Parteien. Sie zeigt aber, dass Bildungspolitik ein wichtiges Wahlkampfthema sein wird. Zu diesem Thema kann man in den Tageszeitungen fast jeden Tag was Neues lesen. In solche Bildungsdebatten müssen wir uns als Migrantenorganisationen noch stärker einmischen und die Interessen der Migrantenkinder und deren Eltern noch konsequenter vertreten. Wir haben diese historische Verantwortung, weil dadurch die Zukunftschancen unserer Kinder sehr stark beeinflusst werden.
Der aktuelle Erkenntnisstand in der Zuwanderungsfrage hat uns gezeigt, dass die Integrationspolitik vor allem Bildungspolitik bedeutet. Aus diesem Grund müssen wir das gesamte bayerische Bildungssystem aus der Sicht der benachteiligten Kinder und Familien analysieren und daraus Schlussfolgerungen ziehen:
Bayern braucht eine umfassende Bildungsreform, weil
- Das bestehende bayerische Schulsystem die Chancengerechtigkeit und soziale Integration von bildungsfernen Migrantenkindern nicht gewährleisten kann. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsergebnissen,
- Viele Kinder zu früh auf Schularten verteilt werden, die ihrer späteren individuellen Entwicklung nicht gerecht werden,
- Schüler/-innen mit ausländischer Staatsangehörigkeit noch immer weit häufiger als deutsche Kinder Förder- und Hauptschulen besuchen. Fast die Hälfte von ihnen erreicht bis zur 9. Klasse die notwendigen Voraussetzungen, die ihnen eine berufliche Ausbildung direkt nach dem Hauptschulabschluss ermöglichen,
- Ausländische Schüler die Schule dreimal so häufig wie deutsche Schüler ohne jeglichen Abschluss verlassen,
- Die Wiederholerquote bei ausländischen Schülern doppelt so hoch ist wie bei deutschen Schülern.
Bayern braucht eine umfassende Bildungsreform, die
- den Prozess für notwendige strukturelle Änderungen hin zu einer vielfältigeren Schullandschaft in Gang setzt,
- die Schulen vom Ausleseauftrag befreit,
- die Entscheidungskompetenzen der einzelnen Schule über ihre innere Struktur stärkt,
- die Wahlfreiheit der Eltern bei der Frage der weiterführenden Schule erweitert,
- die rhythmisierte Ganztagsschule flächendeckend und verbindlich einführt.
Bayern braucht eine umfassende Bildungsreform, weil das Recht auf Bildung für alle eingelöst werden muss.