Das Thema Migration/Integration beherrscht und spaltet nach wie vor die politische Debatte in Deutschland. Seit 2015 streiten die Deutschen leidenschaftlich darüber, wie sich die Gesellschaft zu Migration und Integration verhalten soll. Kaum ein anderes Thema wird seit Jahren so kontrovers und emotional diskutiert. Dabei wird in der öffentlichen Debatte oft eine Spaltung der Bevölkerung in zwei große Lager wahrgenommen: Zuwanderungsgegner/innen gegen Zuwanderungsbefürworter/innen.
Ist die Bevölkerung tatsächlich so polarisiert? Was denken die Deutschen wirklich über Migration? Wie bewerten die Bürger/innen die Integrationspolitik in Deutschland?
Diesen Fragen ging eine ganz aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung unter dem Titel „Das pragmatische Einwanderungsland“ nach und fand zum Teil überraschende Ergebnisse:
- Anders als die öffentliche Debatte suggeriert, zeigt diese Studie deutlich, dass die Gesellschaft keineswegs in zwei unversöhnliche Gruppen von vehementen Befürworter/innen und Gegner/innen gespalten ist. Diese Pole machen jeweils nur ein Viertel der Befragten aus. Etwa die Hälfte der Deutschen gehöre zu einer breiten „beweglichen Mitte“ und zeige differenzierte Einstellungen. Sie sei mehrheitlich offen für die Aufnahme von Geflüchteten, sehe aber auch die Herausforderungen, die der Zuzug dieser Menschen mit sich bringt.
- Die Deutschen sind grundsätzlich offen für Zuwanderung. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung sieht Einwanderung sogar als Chance. Nur eine Minderheit lehnt Zuwanderung nahezu kategorisch ab. Besonders groß ist die Offenheit für eine Einwanderung, die dem Fachkräftemangel entgegenwirken soll (63 Prozent). Die Hälfte der Deutschen glaubt schließlich, dass Einwanderung unser Land nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich und kulturell bereichert.
- Die große Mehrheit der Deutschen findet es richtig, Menschen aufzunehmen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Gut 70 Prozent sind der Meinung, Deutschland solle in Zukunft genauso viele Geflüchtete wie jetzt oder sogar noch mehr aufnehmen. Für Menschen, die „aus wirtschaftlichen Gründen und vor Armut“ nach Deutschland fliehen, zeigt die Mehrheit hingegen eine geringe Akzeptanz. Bei einem sind sich die Deutschen so gut wie einig: Wer nach Deutschland geflüchtet ist, sich hier gut integriert hat und einer Arbeit nachgeht, der soll bleiben dürfen – selbst wenn er oder sie eigentlich ausreisepflichtig ist. Das finden beinahe 80 Prozent und sind dementsprechend offen für den sogenannten Spurwechsel.
- Die größten Befürchtungen der Befragten sind nicht etwa die Kosten der Integration oder die Konkurrenz um Arbeitsplätze. Auch Kriminalität, Terror und der Einfluss des Islam werden erst an dritter und vierter Stelle genannt. Die weitaus größte Angst ist vielmehr die vor einer Zunahme von Rechtsextremismus und rassistischer Gewalt. Gleich an zweiter Stelle steht die Sorge vor einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft. Die Bürger/innen vermissen speziell in der Flüchtlingspolitik einen klaren Plan. Weiterhin sehen mehr als drei Viertel der Bevölkerung den gesellschaftlichen Zusammenhalt schwinden.
Diese Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Deutschen offen gegenüber Einwanderung sind. Die Autoren der Studie empfehlen daraus, dass diese grundsätzlich positive Einstellung von der Politik nicht unterschätzt werden soll – und auf keinen Fall durch eine spalterische Politik und Rhetorik unterminiert wird. Die Politik kann die Offenheit der Bevölkerung gegenüber Einwanderung nur dann erhalten, wenn sie Vertrauen gewinnt. Und das geht nur, indem sie Migration und Integration pragmatisch gestaltet: mit einer solidarischen Politik, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt, die Wohlstand und Anerkennung für alle Menschen in Deutschland schafft, unabhängig von der Herkunft.